Eine kleine Ostergeschichte

Eine kleine Ostergeschichte – auch ein paar Wochen nach Ostern noch gültig

Eine Tafel Schokolade aufs Mal zu verputzen, käme mir nie in den Sinn. Das liegt wohl daran, dass ich nicht besonders auf Süßigkeiten stehe. Mit einem Wiener Würstchen und einer sauren Gurke kann man mir mehr Freude bereiten. Meine Mutter wusste das und hatte bei kuchenträchtigen Geburtstagsfeiern immer ein Paar Wienerle und eine knackige Essiggurke für mich bereitgelegt. Nach einem Stück sehr leckerer Cremetorte, einem Stück Käsekuchen (ohne Teigboden und Teigrand) und einem Stück Obstkuchen (alle drei natürlich von ihr selbst gebacken) war mein obligatorischer Gang zum Kühlschrank. Der süße Geschmack in meinem Mund musste vertrieben werden …

Meine Tante Rosel, ihres Zeichens Köchin bei einem Schweizer Millionär, besuchte uns mehrmals im Jahr und hatte – weil sie gut verdiente – immer kostspielige Mitbringsel in ihrem Gepäck; speziell für mich. So auch eines Tages kurz vor Ostern – ich war so um die sechs oder sieben Jahre alt. Meine Tante verstaute betont langsam erst ihre Klamotten, grinste dann geheimnisvoll und überreichte schließlich mir eine große Schachtel. Inhalt der Schachtel: ein riesiges, hohles Osterei aus Blätterkrokant. Es bestand aus zwei Hälften, die mit einer breiten, roten Schleife zusammengehalten waren. Inhalt des Krokant-Ei’s: jede Menge Hasen und Eier unterschiedlicher Größe und Art: braune und weiße Schokolade, roter Zucker, Nougat, Krokant, Trüffel … und Marzipan. Wie schon gesagt, Süßigkeiten lockten mich grundsätzlich nicht hinter dem Ofen hervor, und was mir überhaupt nicht schmeckte, war Marzipan.

Während der Ostertage vernaschte ich trotzdem das eine oder andere Ei, knabberte an verschiedenen Häschen herum, verschenkte an Eltern und Geschwister großzügig ein Ei oder einen Hasen, und gemeinsam verzehrten wir schließlich das große, hohle Blätterkrokant-Ei.

Übrig blieb ein Hase aus beige-braunem Marzipan. Den verstaute ich in einer Kommoden-Schublade.

Wenige Tage später machte ich aus irgendeinem Grund die Schublade auf, und was musste ich da entdecken? Dem Marzipan-Hasen waren die Ohren abhandengekommen! Wütend rannte ich durch die Wohnung, suchte nach dem Übeltäter und fand ihn bald: Meinen Bruder. Den verdächtigte ich. Wer sollte es sonst gewesen sein …

Mein Bruder gab es frank und frei zu: Er hatte dem Häschen die Ohren abgebissen.

»Was fällt dir denn ein?«, rief ich empört, das ist mein Hase.«

„Was regst du dich so auf?“, fragte mein Bruder, „du magst doch kein Marzipan.“

„Wie kommst du denn auf die Idee?“, fragte ich immer noch ziemlich erbost zurück und verspeiste demonstrativ den ohrenlosen Hasen.

Seitdem mag ich Marzipan …

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